Als Startpunkt der mehrtägigen Wanderung unserer Gruppe bestimmten wir den kleinen Ort Herzogau, der ganz in der Nähe der tschechischen Grenze liegt. Eben diese Nähe sorgte dann schon nach den ersten zwei Stunden Fußmarsch dafür, dass wir unsere geplante Route auf dem Goldsteig, einem mehrere hundert Kilometer langen Wanderweg durch den ganzen bayrischen Wald, zugunsten eines Abstechers in unser Nachbarland verwarfen: Auf einer Übersichtskarte entdeckten wir einen Hinweis auf ein „Verschwundenes Dorf“, das sich nur wenige Kilometer von der Grenze entfernt in einem abgelegenen Waldgebiet befinden sollte.
Verschwundenes Dorf? Das klang nach alten Ruinen, die man erkunden konnte, und dass es außerhalb des Gebiets lag, das unsere Wanderkarte abdeckte, störte uns auch nicht: Im Gegenteil, es machte die ganze Sache nur noch spannender. Kurze Zeit später passierten wir am Berg Tri Znaky (Drei Wappen), an dem die historischen Grenzen von Böhmen, Bayern und Oberpfalz zusammenlaufen, die Grenze zu Tschechien – erkennbar daran, dass die bisher vorzügliche Beschilderung schlagartig endete. Das tat unserer guten Stimmung jedoch keinen Abbruch, es wäre ja doch auch zu komisch gewesen, wenn ein ganzer Schilderwald den Weg zum verschwundenen Fichtenbach gewiesen hätte.
Mit Einbruch der Dämmerung erreichten wir dann das Tal, in dem sich das Verschwundene Dorf befinden sollte. Mit abgelegten Rucksäcken erkundeten wir dann die nähere Umgebung: ein altes Kriegerdenkmal, ein zerstörter Strommast, der schräg in der Erde steckte und dessen Kabel bis zum Boden durchhingen. Mehr fanden wir nicht – Fichtenbach war wirklich verschwunden. Dann blitzte in einiger Entfernung eine Hinweistafel auf. Mit der sicheren Gewissheit, schon bald das Rätsel des Verschwundenen Dorfes lösen zu können, eilten wir darauf zu – und wurden überrascht: Es gab keine Informationen über Fichtenbach zu lesen, sondern darüber, dass der Christbaum, der Weihnachten 2013 auf dem Petersplatz in Rom stand, an eben dieser Stelle gefällt worden war.
Sprachlos starrten wir uns an, und konnten es selber kaum glauben. Das hatten wir uns zugegebenermaßen ganz anders vorgestellt. Nun ja, Situationen wie diese sind es, die den Reiz einer Fahrt eben gerade ausmachen. Manchmal hat man Glück und stößt per Zufall auf ein paar Abenteuer am Wegesrand. Und manchmal hat man Glück und erlebt skurille Geschichten, die man sich unmöglich ausdenken könnte. Eine spätere Recherche ergab, dass wir ein knappes dreiviertel Jahr zu spät dran waren. Der ehemalige Glasort Fichtenbach war in den 1960ern aufgegeben worden – und die Überreste der Häuser und Polierwerkstätten, die wir zu finden gehofft hatten, waren im Herbst letzten Jahres endgültig abgerissen worden…
Es folgten drei weitere Tage durch den bayrischen Wald rings um Furth im Wald. Auf ein Bad im Drachensee mussten wir aufgrund der etwas zu niedrigen Temperaturen leider verzichten. Diese machten sich vor allem in den Nächten bemerkbar, sodass wir die Gastfreundschaft einiger Bayern ganz besonders zu schätzen wussten, die uns in ihren Gärten unsere Ponchozelte aufspannen und an einem kleinen Feuer kochen ließen: Ein, zwei Tassen heißer Tee waren nach den kühlen Tagen eine wahre Wohltat, bevor wir uns in die Schlafsäcke verkrümelten. Der Höhenzug „Hoher Bogen“ mit ehemaliger Abhörstation der NATO bildete den Scheitelpunkt der Fahrt, bevor wir uns wieder auf den Rückweg nach Herzogau machen mussten – und schon von den nächsten Fahrten träumten…
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